Zu Beginn der 1970er Jahre zog eine kleine Dampflok vermehrt die Aufmerksamkeit der bundesdeutschen Eisenbahnfreunde auf sich,
die mit der Deutschen Bundesbahn rein gar nichts zu tun hatte, und die sogleich einen einmaligen Spitznamen bekam:
"Zucker-Susi". Der Spitzname begründete sich einfach: es handelte sich um die Lok 4 der Zuckerfabrik Regensburg.
Nun waren und sind Dampfloks privater Betreiber immer schon interessant, aber die Lok, die tatsächlich einmal im Nummernschema
der vormaligen Deutschen Reichsbahn als 98 727 eingereiht war, war aus mehreren Gründen etwas besonderes.
Als
Baureihe 98
7 wurde bei der DR die vormalige bayerische BB II geführt, eine nach Bauart Mallet ausgeführte
Nassdampf-Verbundlokomotive mit der Achsfolge B'B n4v, die zwischen 1899 und 1903 in 29 Exemplaren an die bayerische
Staatsbahn ausgeliefert wurde. Bereits 1940 war der Bestand auf nur noch 3 Lokomotiven dezimiert, die in den Folgejahren
an private Firmen verkauft wurden. 1943 wurde 98 727 an die Südzucker AG, Werk Regensburg verkauft und überlebte als
einzige die Jahrzehnte. 1958 erhielt sie sogar einen nach alten Zeichnungen erstellten neuen Kessel.
Zu Beginn der 1970er Jahre wollte man sich aber auch hier von den noch verbliebenen
Dampfloks trennen. 1972 übernahm eine Diesellok die Aufgaben der "Zucker-Susi".
Die Bauart Mallet war in Deutschland - und auch in den meisten anderen Ländern Europas - kaum
verbreitet. Bei dieser Bauart war das vordere Triebwerk gelenkig unter dem Rahmen angeordnet, die Dampfzufuhr zu den Zylindern
erforderte bewegliche Dampfleitungen. Eine "Mallet" ist zudem immer eine Vierzylinder-Verbundlokomotive, was bedeutet,
dass der Dampf, nachdem er in den - hinteren - (Hochdruck-)Zylindern Arbeit geleistet hat, nochmals zu den - vorderen -
(Niederdruck-)Zylindern geleitet wird, um dort mit dem Restdruck die zweite Triebwerksgruppe anzutreiben. Das bewegliche
vordere Triebgestell der "Mallets" ermöglichte es, auch für Strecken mit engen Radien und schlechtem Oberbau größere Loks
zu konstruieren.
Mallet-Lokomotiven wurden in Deutschland nur um die Jahrhundertwende in nennenswerten Stückzahlen gebaut, meist für Klein- und Schmalspurstrecken,
um die gestiegenen Zugförderungsaufgaben zu bewältigen. Mit der Einführung des Heißdampfes wendete man sich wieder von dieser
recht aufwändigen Bauart ab, da sich die benötigten Leistungen mit Zweizylinderloks wirtschaftlicher bewältigen ließen.
Bis heute erhalten sind einzelne Schmalspur-Mallet-Loks aus der Länderbahnzeit.
Erwähnen möchte ich die DR-Baureihe 99
590, die für die Nordhausen-Wernigeroder
Eisenbahngesellschaft ab 1897 gebaut wurden und von denen vier heute noch bei den Harzer Schmalspurbahnen vorhanden sind,
z.T. sogar einsatzfähig. Und die DR-Baureihe 99
63, erstmals 1899 in Dienst gestellt als württembergische Reihe Tssd,
war eine Mallet. Von dieser Baureihe wurden 99 633 und 99 637 als letzte ihrer Art erhalten.
Die 98 727 ist
jedoch die einzige vollständig erhaltene deutsche Regelspur-Mallet, die auch wieder betriebsfähig aufgearbeitet wird.
Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang bayerische BB I Nr. 2100, eine Mallet-Schlepptenderlok mit Baujahr 1896, die sich
im Eisenbahnmuseum Neustadt an der Weinstraße befindet, jedoch ohne Tender und als Anschauungsobjekt
teilweise aufgeschnitten.
Anfang der 1970er Jahre bemühte sich die Südzucker AG darum, ihre Lok Nr. 4
museal zu erhalten. Letztlich erhielt der Verein "Museumsbahn e.V.", heute Trägerverein des Eisenbahnmuseums
Darmstadt-Kranichstein e. V., den Zuschlag für die Lok. Unter der Regie dieses Vereins absolvierte 98 727 in den folgenden
5 Jahren verschiedene Sonderfahrten, bevor sie zunächst als Exponat in das Eisenbahnmuseum einzog. Seit 2012 arbeitet man dort
an der betriebsfähigen Aufarbeitung.
Eine der ersten - oder evtl. auch die erste - Sonderfahrt wurde am
11. März 1973 durchgeführt, dabei wurde von Würzburg aus die inzwischen längst nicht mehr existierende "Gaubahn"
von Ochsenfurt/Main über Bieberehren und Röttingen/Ufr. nach Weikersheim befahren. Ziel der Fahrt war Lauda, von dort
kehrten die Fahrtteilnehmer mit einem der planmäßigen Nahverkehrszüge nach Würzburg zurück. Der Einsatz der bayerischen
BB II bzw. Baureihe 98
7 auch auf dieser Strecke kann als sicher angenommen werden,
eine Bildveröffentlichung eines Fotos von 1910 aus Aub-Baldersheim belegt dies.
Weil nach über 4 Jahrzehnten auch die Gaubahn stillgelegt und abgebaut wurde, habe ich mich
entschieden, die Aufnahmen dieser Fahrt in einer Galerie zu zeigen. Unterstützt wurde ich dabei von Wolfgang Rüdiger Hesse,
der die Fahrt ebenfalls fotografisch begleitete und seine Aufnahmen für diese Galerie zur Verfügung stellte.
Den Streckenverlauf der ehemaligen Gaubahn dokumentieren wir zusätzlich auf der unten verlinkten Sonderseite.
Link: Der Verlauf der ehemaligen Gaubahn