Je mehr sich der Betrieb mit Dampfloks bei der DB dem Ende zuneigte, desto geringer wurde die Zahl der großen Bahnbetriebswerke. Die Elektrifizierung stand natürlich unter der Prämisse, unter Fahrdraht nicht mit anderne Traktionsarten, schon gar nicht mit Dampf zu fahren. Neu angelieferte Dieselloks wurden vorrangig im Reisezugverkehr eingesetzt, wenn es nicht galt, eine Region komplett dampffrei zu machen. Damit erreichte man für den Reisenden das gewünschte Bild einer sauberen und modernen Bahn. Auf nichtelektrifizierten Strecken, auf denen der Güterverkehr eine dominierende Rolle spielte, konnte man jedoch die Dampflokomotiven nicht so schnell ersetzen wie im Reisezugdienst. Insbesondere in industriell geprägten Regionen spielte die Dampflok noch länger eine nicht unbedeutende Rolle.

Eine solche Region war das nördliche Harzvorland. Anfang der 1970er Jahre endete der Fahrdraht von Westen her in Lehrte. Die Stahlwerke in Peine und Salzgitter sowie der Güterverkehr nach West-Berlin erzeugten ein erhebliches Güterverkehrsaufkommen. Das Bahnbetriebswerk Lehrte hatte bis Mitte der 1970er Jahre dieses Güterverkehrsaufkommen zu bewältigen.

Traditionell war das Bw Lehrte eine Hochburg der Baureihe 50. Zusätzlich disponierte das Bw Lehrte Loks der Baureihe 44 vom Bw Ottbergen für schwere Ganzzüge. Das Bw Lehrte bespannte zum einen in diesne Jahren bis zur Elektifizierung die Güterzüge nach/von den genannten Stahlwerken, den Güterverkehr in und durch die DDR auf der Relation Lehrte - Helmstedt und im Südharz auf der Relation Herzberg - Ellrich (DDR), dazu kamen noch eine Reihe Leistungen im Harz. All diese Traktionsaufgaben zu verdieseln, konnte nicht wirtschaftlich erreicht werden, und so plante man seitens der DB die Elektrifizierung der Hauptachse von Lehrte bis zum Grenzbahnhof Helmstedt, bis dahin blieb der Dampfbetrieb erhalten. So wurde das Bw Lehrte 1975 zum Sammelbecken für alle Loks dieser Baureihe, die andernorts entbehrlich wurden und noch Fristen hatten.

Symptomatisch für die hohe Anzahl der eingesetzten Maschinen ist, dass sich die Ordnungsnummern der Loks in dieser Galerie kaum wiederholen. Die Lebensläufe der gezeigten Loks komplett darzustellen, würde den Rahmen sprengen, aber exemplarisch habe ich einige Daten in die Bildtexte einfließen lassen.

Ich erfuhr davon als Schüler nur nach und nach, aber bald kristallisierte sich heraus, dass es lohnenswert wäre, ins nördliche Harzvorland aufzubrechen, um noch einmal hauptbahnmäßigen Güterverkehr zu erleben. Eine erste Gelegenheit bot sich in den Sommerferien des Jahres 1974, in denen ich - unterstützt von meinem Vater - eine Rundreise durch norddeutsche "Dampfgebiete" unternehmen konnte.

Für das nördliche Harzvorland und en Harz waren 3 Tage eingeplant. Im Frühjahr 1975 und ebenso im Frühjahr 1976 widmete ich dem Dampfbetrieb des Bw Lehrte nochmals einige Zeit. Von diesen Touren stammen die in dieser Galerie gezeigten Bilder. Den Dampflokeinsätzen des Bw Lehrte im Südharz und denen des Bw Ottbergen werde ich zu einem späteren Zeitpunkt eine eigene Galerie widmen.

Zum Fahrplanwechsel am 30.05.1976 hatte sich die DB die Mammutaufgabe gestellt, die Dampflokeinsätze beider Bahnbetriebswerke zu beenden. Dem Fahrplanwechsel am 1. Juni 1976 folgte entsprechend mit der HVB-Verfügung vom 11.06.1976 eine umfangreiche Ausmusterungswelle, bei der ein Großteil der vorhandenen Loks auch mit gültigen Fristen sofort am Folgetag abgestellt wurden. Nur ein geringer Teil der 44er gelangte noch zum Bw Gelsenkirchen-Bismark und einige 50er wurden noch zum Bw Duisburg-Wedau umbeheimatet.

Hinweisen möchte ich noch auf die Seite Bundesbahnzeit.de von Urich Budde, der auf dieser seiner Seite nicht nur ebenfalls viele hervorragende Aufnahmen und informatives zum Bw Lehrte zeigt, sondern dort auch eine Übersicht über die in Lehrte beheimateten Dampfloks eingestellt hat.